Was hat dich inspiriert, den Verein ANME e.V. zu gründen ?
Die Initialzündung war 2001, als die Folgen der europaweiten Forderung zur Nachzulassung von Arzneimitteln deutlich zu spüren waren. Viele traditionell bewährte Mischarznei-Mittel aus Vitaminen, Enzymen, pflanzlichen und homöopathischen Einzelmitteln waren dann nicht mehr verfügbar, denn die Inhaltsstoffe konnten nur noch einzeln gekauft werden. Viele PatientInnen waren deshalb sehr verzweifelt, denn es sind dadurch hohe Kosten auf sie zugekommen.
Damals ist mir und anderen klar geworden, dass eine Stimme für die Naturheilkunde in Europa dringend gebraucht wird.
Wir haben dann den Verein „Association for Natural Medicine in Europe / ANME e.V.“ als europaweite Interessenvertretung für die Traditionelle und Komplementäre Medizin sowie der Naturheilkunde gegründet. Unsere Ziele liegen im Erhalt und der Weiterentwicklung der traditionellen und komplementären Medizin und Heilsysteme (T&CM) und deren Heilmittel in Europa.
Und wo liegen dabei die Herausforderungen ?
Zu unseren Gründerzeiten hatten wir noch wenig Hintergrundwissen, sodass wir uns auf das Wissen und die Kompetenz der Hersteller von Naturmedizin und Verbänden verlassen wollten. Leider war das eine Fehleinschätzung und wir mussten uns alles selbst erarbeiten.
Aktuell ist auch die Demographie ein wichtiges Thema. Die jungen Leute brauchen eine Sicherheit bezüglich der Berufswahl. Und wenn sie sich für einen Gesundheitsberuf entscheiden, brauchen sie dazu verlässliche Rahmenbedingungen. Das ist leider in Deutschland zurzeit nicht gegeben.
Was ist für die Ausbildung von HeilpraktikerInnen und HomöopathInnen in Zukunft wichtig?
Ich finde, dass hier zwei wesentliche Punkte beachtet werden sollten.
Erstens sollten Anbieter von Ausbildungen mehr auf die pädagogischen Werkzeuge der Erwachsenenbildung und des bestehenden Qualitätsmanagements setzen. Und zweitens sollten zwei verschiedene Ausbildungsmodelle angeboten werden: Eines für den staatlichen Bereich im Kontext mit dem System der gesetzlichen Krankenkassen und ein Zweites für den privaten Bereich, bei dem wir als Heilpraktiker viel mehr Möglichkeiten haben.
Wie beurteilst du die neueste Entwicklung in der WHO bezüglich der Naturheilverfahren ?
Wir müssen davon ausgehen, dass wir mit der Benennung von Traditioneller Medizin ein wichtiges Standbein in der neuen WHO-Globalen Strategie für 2025-2024 besitzen. Explizit wurde in diesem Zusammenhang bisher kein einziges Heilsystem oder einzelne Methoden benannt. Allerdings gesteht man den Indigenen Völkern das Recht auf ihre eigenen gewachsenen therapeutischen Freiheiten zu. Dies sollte auch den eingeborenen Europäern in Bezug auf ihr kulturelles Erbe zugestanden und mit Respekt und Wertschätzung behandelt werden. ANME setzt sich dafür ein, dieses Thema weiter zu verbreiten.
Welche aktuellen Projekte verfolgt ihr derzeit bei ANME ?
Erstens die Diskussion innerhalb der Homöopathie zu einer wahrhaftigeren integren und integrativen menschenbezogenen Medizin. ANME begleitet dabei die Arbeit an einem Grundsatzpapier.
Und dann ein sehr wichtiges Thema: Die akademische/Definition der Bezeichnung „Traditionellen Medizin“. Mit einem Vortrag zu dieser Thematik sind wir demnächst in Prag auf dem 4. World Health Kongress. Dort wird auch das TEM-Forum ihr Positionspapier zur Traditionellen Europäischen Medizin/TEM vorstellen.
Des Weiteren wird vom 17. bis 19. Dezember eine Delegation in Indien sein zum WHO Summit für Traditionelle Medizin. Hierbei arbeiten wir mit dem Salus Netzwerk zusammen, um Kosten zu sparen.
In den letzten Jahren wurden einige sehr positive, wissenschaftliche Studien zu Homöopathie veröffentlicht. Siehst du Chancen, dass relevante PolitikerIinnen diese wahrnehmen und unterstützend für die Homöopathie tätig werden?
Generell ist es problematisch, dass in Studien jedes Heilsystem und deren Diagnose- und Behandlungsmethoden nach den Maßstäben der konventionellen Medizin bewertet wird. Die Erfahrungsmedizin bräuchte ein Studien-Design, dass dazu passt.
Die Gegner der Homöopathie haben ja eine sehr negative Diskussion über die Wirksamkeit der Homöopathie entfacht. Das sind ideologisch geprägte Interessengruppen, mit einem dogmatischen Glauben. Sie bringen zum Beispiel auch Anträge gegen die Homöopathie ein, wie wir es kürzlich beim deutschen SPD-Parteitag gesehen haben.
Mit Ideologen kann man aber nicht diskutieren, es braucht eine wachsame und gesundheitspolitische Strategie in ganz Europa und den Nationalstaaten.
Wie können wir mehr sichtbar werden in Gesellschaft und Politik?
Ein Ansatz könnte sein, das Thema Gesundheitsförderung in den Vordergrund zu stellen. Bereiche wie z.B. das Immaterielle Kulturerbe, wirkliche Nachhaltigkeitsaspekte oder ein respektvoller interprofessioneller Austausch bieten hierzu weitere Möglichkeiten.
Wir liefern dazu laufend Vorschläge für unsere Mitglieder. Ich bin überzeugt, dass die Bereiche „Immaterielles Kulturerbe/IKE“ und „Traditionelle Medizin/TM“ eine gute Basis für eine offensive Kommunikation wären. Unser Auftrag ist es, das anzusprechen und ein Bewusstsein dafür in den Verbänden und Ausbildungsinstituten zu schaffen.
Liebe Nora, ich bedanke mich sehr herzlich für dieses interessante und inspirierende Gespräch. Und ich wünsche Dir und ANME viel Erfolg für Eure weitere Arbeit.
Interview geführt von
Melanie Brühl-Schobert